© – Gunda v. Dehn – Der kleine Postillion – Kinderliedchen
Der kleine Postillion
Eine Begebenheit aus meiner Kindheit:
Ich hatte schon lange, bevor ich eingeschult wurde, Flötenunterricht, und zwar zusammen mit meiner 2 Jahre älteren Cousine, die gleich nebenan wohnte. Das gab mir einen natürlichen Anreiz, möglichst besser zu sein als sie. Wir wohnten in der oberen Etage eines Reihenhauses. Der Unterricht fand gegenüber in der Schule statt. Ich war begeistert von der Musik und düdelte fast den ganzen Tag auf meiner kleinen Flöte! Das viele Üben war für mich notwendig, weil ich mit meinen kleinen Fingerchen anfangs Probleme hatte, die Schalllöcher richtig zu schließen.
Mit knapp 6 Jahren wurde ich eingeschult. Das war toll. Mein Lehrer war sehr nett und die Religionslehrerin nannte mich immer „Käthe-Kruse-Puppe“. Ich wußte zwar nicht, was das bedeutet, fand es aber sehr schön. Ich hatte gleich zwei Freundinnen. Die eine aber war leider ein kleines Biest! Sie hat mir – es war mein 6. Geburtstag – ein Rosenblatt voller Ohrenkneifer ins Gesicht geworfen, einfach nur, um mich zu ärgern. Ich bin furchtbar erschrocken gewesen und hatte große Angst, dass die kleinen Tierchen in meine Ohren krabbeln und mich dort anfressen würden und dann kann man doch nichts mehr hören… oder? Na, ja, jedenfalls war diese besagte „Freundin“ stolze Besitzerin eines niedlichen weißen Terriers. Den fand ich so süß, dass ich mir inniglich auch solch einen Hund wünschte. Einen ganz kleinen Terrier bekam ich dann auch – als Porzellanfigur, die gibt es heute noch – mit angeklebtem Bein. Einen Hund durften wir in der Mietwohnung nicht halten. Und dieses Mädel durfte zum Ballett, weil es angeblich eine schlechte Körperhaltung hatte, sie war etwas „steif“ und ungelenk. Ich wollte auch so gern Tänzerin werden, denn an unserem Hause ging täglich eine junge Frau vorüber und meine Mutter sagte immer „Schau, die Tänzerin kommt“. Ob sie tatsächlich Tänzerin gewesen ist, weiß ich gar nicht. Jedenfalls hatte sie den typischen Gang einer Tänzerin an sich. Aber für richtigen Unterricht reichte das Geld nicht. Meine Mutter war eine arme Kriegerwitwe und sie hatte als Rente nicht einmal genug zum Leben und so übte ich zu Hause Spagat und Spitzentanz – ohne Spitzenschuhe. Das war nicht gut für die Füße und trotz der Bandagen schmerzhaft, aber wo ein Wille ist… – Um mich davon abzubringen, wurde ein höhenverstellbares Reck zwischen die Zarge der Wohnzimmertür montiert. Dort konnte ich turnen und üben. – Das Reck bewirkte aber nur das Gegenteil, es war ein hervorragendes Übungsgerät und all das, was meine Freundin in der Ballettschule lernte, demonstrierte sie mir und ich konnte es nach kurzer Zeit viel besser als sie. Sie war noch gar nicht auf Spitze gestellt, da tat ich das schon an der Stange. Ich war halt ehrgeizig und kriegte das auch ganz gut hin. Nütze aber nichts. Zum Ballett kam ich erst als Erwachsene. – Tänzerin zu werden, das war nur der phantastische Traum eines kleinen Mädchens.
Der Vater dieser Freundin war Ingenieur in der Kranfabrik am Hafen. Auf dem dortigen Firmengelände wohnte die Familie auch. Die Mutter holte ihre Tochter jeden Tag von der Schule ab – mit diesem süßen, knuddeligen Hund an der Leine. Und weil sie ja nicht so lange auf dem Schulhof auf ihr Töchterlein warten wollte, belästigte sie von Montag bis einschließlich Sonnabend meine Mutter mit ihrer Anwesenheit. Meine Mutter war ganz verzweifelt, immer diese Frau in der Küche sitzen zu haben, die sie von ihrer Schneiderarbeit abhielt, in einem fort plapperte und auch noch Tee trank, wo wir sowieso sehr wenig Geld zur Verfügung hatten und uns kaum selber durchbringen konnten mit der winzigen Kriegerwitwenrente. So litt meine Mutter stumm und duldete jahrelang den „Besuch der jungen Dame“, weil deren Tochter meine Freundin war.
Zum Geburtstag schenkte ich meiner Mutter ein Liedchen – selbst komponiert. – „Der kleine Postelon“ stand groß und sehr sauber auf der herausgeschnittenen Heftseite aus dem Haushaltsbuch – mit eigenhändig gezogenen Notenlinien. Die waren nicht ganz gerade gelungen, aber das übersah Mama und das Lied tröstete und erfreute sie.
Den Zettel fand ich neulich im Nachlaß meiner Mutter, ziemlich zerfleddert und die letzten beiden Strophen sind „abgefallen“. Ich wußte gar nicht, dass sie das Liedchen ihr ganzes Leben lang aufbewahrt hat und bin sehr gerührt. – Die Melodie habe ich noch im Ohr und auch die 1. Strophe; der Text des 2. und 3. Verses ist mir leider entfallen. Den 2. Vers kann ich einigermaßen rekonstruieren. Das hieß ungefähr folgendermaßen: „Höret den Peitschenknall, höret den Hörnerschall. Ich fahr mit meinen Pferdchen fort an einen andern Ort. Trara, trara, der Postillion war da.“ Ich habe das Liedchen damals mit Hilfe meiner Flöte unter der Bettdecke komponiert, denn es sollte ja eine Überraschung für meine Mutti sein. Das Flöten war schwierig und in der Dunkelheit alles aufzuschreiben, noch viel schwieriger, sah auch nicht so toll aus. Noten schreiben konnte ich schon recht gut, lesen und schreiben noch nicht so richtig, ich war erst seit knapp einem Jahr in Schule. Ich glaube heute, dass meine Mutter die „Flötentöne“ sehr wohl gehört hat, schaute sie doch mehrmals nach: „Schläfst du noch nicht? Nun musst du aber schlafen, Spatzi. Morgen ist Schultag.“ – Gefreut hat sie sich riesig. Sie platzte fast vor Stolz, dass ich das zustande gebracht hatte, hat es immer in der Schürzentasche mit sich herumgetragen und zeigte es jedem, der ihr über den Weg lief. Nun ja, genial ist „Der Postillion“ nicht, aber für eine 6-jährige nicht übel, zumal auch noch „fis“ drin ist. Ich muss wohl schon ein gut ausgebildetes Gehör gehabt haben. Später bestätigten mir meine Gesangspädagogen ein „absolutes“ Gehör. Das ist gar nicht so toll, wie man vielleicht glauben mag, weil man leicht die „unsauberen“ Töne heraushören kann.
Ich weiß nicht mehr genau, wie ich auf den „Postillion“ als Thema kam, eigentlich merkwürdig, aber es schien mir irgendwie geheimnisvoll, dieser Mann mit der Pferdekutsche und einem Horn, in das er hinein blies, wenn er in einen Wohnort fuhr. Und dann kamen die Leute gelaufen und fragten nach Post und andere stiegen aus der Kutsche und der Kutscher warf deren Gepäck auf den Sandweg… Meine Mutter erzählte mir oft Märchen während sie nähte oder sie las mir am Abend „Gute-Nacht-Geschichten“ vor. Die Sammel-Bildchen, wie unten angeführt, können es nicht gewesen sein, die mich inspiriert haben, denn die gab es damals noch nicht.
Später habe ich mich an vielfältigen Sportarten erfreut, an div. Wettbewerben teilgenommen und mich auch als Rettungsschwimmerin betätigt, wobei es mir gelungen ist, ein kleines Mädchen zu retten, das mit der Ebbe fortgezogen wurde. Aber das war damals so selbstverständlich für eine Rettungsschwimmerin, dafür gab es nicht einmal ein Lob! Ein kleiner Tipp: man darf nicht geradewegs gegen die Strömung schwimmen, sondern muss sie schräg angehen!
Hinweis: Roman Chroniken der tom Brook
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