Mode im Mittelalter
Kleidung bedeutete für den mittelalterlichen Menschen Kennzeichnung von Rang, Stand und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht.
Das Hausbuch des Unico Manninga (Archiv Lütetsburg) überliefert uns Kleidung der Friesen des 16. Jahrhunderts. Es zeigt die Kleidung der freien Bauern, aber auch die der Adeligen. Adelige und reiche Leute trugen gern gold- und silbergeschmückte Kleider.
Was aber trugen adlige Damen allgemein im 10. und 11. Jh. ?
Theophanu (+ 991), die byzantinische Gemahlin von Kaiser Otto II., bestimmte im 10. Jh. die Mode. Das Oberkleid war kürzer als das Unterkleid und besaß stets eine andere Farbe. Der kostbare Schmuck musste bunt sein. Edelsteine und Perlen schmückten Hals und Hände. Außerdem wurden sie noch reichlich auf die Gewänder genäht bzw. gestickt. Die bisher eng anliegenden, glatten Ärmel entwickelten sich zu weiten Hängeärmeln, die zuweilen bis zum Boden reichten. Theopanus Kopfschmuck war ähnlich gestaltet wie der ‚Pael‘ der friesischen adeligen Frauen. Die dort aufgebrachten Edelsteine in verschiedenen Farben hatten jeweils besondere Bedeutung, so wie wir noch heute Edelsteinen besonderen Sinngehalt und magische Kräfte zumessen. Im 11. Jh. wurde die adlige Mode durch die Gemahlin Heinrichs III., die Französin Agnes von Poitou (+ 1077) stark beeinflusst. Schaut man sich das Trachtenbuch von Unico Manninga an, so fällt in großem Maße eine hohe Gleichartigkeit dieser Bekleidung und der im Trachtenbuch abgebildeten Kleidung der Friesen auf (vergleichen Sie selbst). Durch Agnes von Poitou kamen die bisher immer noch sackähnlich wirkenden Gewänder aus der Mode. Nun wurden der Körperbau betont. Über einem Unterhemd aus Leinen trugen adlige Damen farbige Unterkleider, deren Ärmel eng zugeschnitten waren und bis zum Handgelenk reichten. Diese Ärmel der Unterkleider wurden wie die Oberkleidärmel mit Bänden im Bereich der Armhöhlen mit den Unter- bzw. Oberkleidern verbunden. So konnten sie leicht ausgewechselt, separat vom Kleid gewaschen oder verschenkt werden. Denn als Liebespfand in den Turnieren waren sie begehrte Erinnerungsstücke! Die Unterkleider adliger Damen waren im allgemeinen aus Seide, die der Bäuerinnen dagegen stets aus Wolle oder Leinen. Die Oberkleider, die man über den Unterkleidern trug, wurden im 12. Jh. so eng zugeschnitten, dass man bei den Frauen die Brüste – beliebt waren kleine feste Brüste – nicht übersehen konnte.
Von der engen Taille fiel das meist farbige Obergewand in Falten bis zu den Füßen herab. Unter den Kleidern trugen Damen und Herren Strümpfe, die unterhalb des Knies mit Bändern befestigt wurden. Als Material wurden Atlas, Barchent, Brokat, Damast, Purpur, Samt oder Scharlach verwendet. Atlas ist ein glatter Seidenstoff, Barchent, ein einseitig gerauter Baumwollstoff, Brokat, ein reich gemusterter Seidenstoff, der Gold- und Silberfäden enthält, Damast enthält mit Glanzfäden eingewebte Bilder; Purpur ist ein in allen Farben hergestelltes, kostbares Seidengewebe. Samt ist ein kostbares Seiden-, Woll-, Baumwoll- oder Leinengewebe, das im Mittelalter keine geraute Oberfläche aufwies, sondern glatt wie Atlas und schwer fallend war; Scharlach, ein kostbarer Schafwollstoff, den es in den Farben rot, weiß, braun, blaugrün und verschiedenfarbig gestreift gab. Unter- und Oberkleider wurden immer in verschiedenen Farben getragen. Das Unterkleid schaute am Saum unter dem Oberkleid heraus, war also länger als das Oberkleid. Im Mittelalter hatte jede Farbe ihre besondere Bedeutung. Jede Farbe besaß auch auf der ‚Liebesskala‘ ihren speziellen Wert. So konnte der verliebte Ritter aufgrund der Kleiderfarben seiner Angebeteten erkennen, wie groß seine Chancen waren. Rot bedeutete Freude, Ehre und ‚brennende Liebe‘, Grün ‚der Liebe Anfang‘ oder Verliebtheit, Blau ‚der Liebe Stetigkeit‘ oder die Treue, Grau ‚der Liebe Trauer‘, Schwarz ‚der Liebe Ende‘ oder ‚des Leides Anfang und der Freude Ende‘. Weiß war die Farbe der Jungfrauen, der Unschuld und der Reinheit des Herzens. Gelb, das ursprünglich mit ‚erfüllter Liebe‘ gleichzusetzen war, wurde im Hochmittelalter zur Farbe der Prostituierten und Juden. Grün wurde im Spätmittelalter sogar zur Teufels- und Hexenfarbe abgewertet. Grün-Blau hieß ‚Anfang in der Stetigkeit‘, Weiß-Blau ’stets gutes Gedenken‘, Grün-Schwarz ‚das Leiden folgt unverhofft auf erwartungsvollen Beginn‘ und Schwarz-Rot ‚der grausame Mord der schönsten Liebe‘. Für die Bauern war schwarzes und graublaues „Zeug“ vorgeschrieben. Außer den Adeligen durften sich auch die Geistlichen farbenprächtiger Gewänder erfreuen, bis dies im 13. Jh. strikt untersagt wurde. Lange Hängeärmel und Schnürbänder an den Seiten des Oberteiles waren bei ihnen und selbst bei Mönchen sehr begehrt! Das Kölner Konzil ordnete jedoch 1281 an, dass Kir-chenangehörige keine roten und grünen Stoffe, Schmuckärmel und Schnürschuhe mehr tragen durften. Die mittelalterliche Kleidung der Mönche und Nonnen hat sich wie die der Kleriker kaum geändert und ist auch noch heute gang und gäbe.
Die Gewänder adliger Herren waren im 12. und 13. Jh. ebenso kostbar, bunt und raffiniert wie die der Damen. Auch sie trugen Oberkleider, die im oberen Teil eng zugeschnitten waren und unten in Falten zum Boden herabfielen. Die Adligen fütterten ihre Obergewänder und Mäntel mit Pelzen oder gefärbtem Stoff. Die langen Mäntel von halbrunder Form wurden im 12. und 13. Jh. durch eine Schnur oder dünne Kette am Hals zusammengehalten. Diese Schnüre oder Ketten führten zu zwei broschenähnlichen Schmuckstücken am Mantel, den Tasseln; daher der Name Tasselmantel. Die Mantelspange war eine Art Zeichen der Ehrbarkeit. In Marseille z.B. war es Huren verboten, mit Spangen besetzte Mäntel zu tragen.
Im Mittelalter besaß der Mantel im Rechtsbereich die symbolische Bedeutung des Schutzes, den z.B. die Ehefrau genoss. Seit dem 13. Jh. war es üblich, voreheliche Kinder während des Trauungsaktes unter den Mantel oder den Schleier der Mutter treten zu lassen, damit sie zu ehelichen Kindern wurden (Mantelkinder).
Bis weit ins 12. Jh. hinein wurden die Kleidungsstücke von den Frauen zu Hause angefertigt. Auch die adligen Damen stellten zumindest ihre Unterkleider selbst her. Erst als die Mode zu kompliziert wurde, beauftragte man Schneider. Festkleider wurden z. T. noch zusätzlich mit Tausenden von Perlen und kostbaren Steinen besetzt. Kostbare Hüte und Hauben wurden mit Rubinen, Smaragden, Diamanten und Perlen verziert. Karl der Kühne (+ 1477), Herzog von Burgund, überraschte 1471 seine Gemahlin mit einem Hut, der mit 600 großen und kleinen Perlen und unzähligen kleinen Edelsteinen geschmückt war. Auch der Gürtel, den Männer wie Frauen trugen, wurde oft reichlich mit Edelsteinen und Perlen verziert. Echte Perlen, die damals am Persischen Golf von Perlenfischern gewonnen wurden, waren selbst für viele Adlige unerschwinglich. Als Ersatz dienten Glasperlen aus Venedig.
Nach den großen Pestepidemien traten im 14. Jh. nicht nur im wirtschaftlichen Bereich drastische Veränderungen ein. Die Menschen hatten nur noch den Wunsch, ihr Leben in vollen Zügen zu genießen. Das machte sich auch in der Mode bemerkbar. Bei den adligen Damen waren nun eng anliegende Unterkleider und Oberkleider mit „Teufelsfenstern“ gefragt. Diese „Teufelsfenster“ waren seitliche, weite Öffnungen des Oberkleides. Zudem wiesen einige Oberkleider zum ersten Mal einen vorderen Knopfverschluss auf, der Gürtel lag auf den Hüften. Es gab perlenbestickte Stoffgürtel oder schmale Ledergürtel, an die man Geldbeutel, Schlüsselbund, Rosenkranz, Gebetbuch, eine Reliquie, Parfümdose, Handschuhe, Schere mit Nadeldose und das Kästchen mit Löffel und Messer (man trug stets sein eigenes Besteck bei sich), hängen konnte. Außerdem wurde beim Oberkleid das vorne und hinten dreieckig gestaltende Dekolleté sowie das Tragen von Glöckchen oder Schellen an Rocksäumen, an der Gugel, am Gürtel und an den Schuhspitzen sehr beliebt..
Wie der Mantel, so besaß auch der Gürtel eine symbolische Bedeutung. Wurde ein Verurteilter z. B. des Landes verwiesen, so musste er Schuhe und Gürtel ablegen. Zum Zeichen ihrer Unterwerfung mussten Besiegte ihre Gürtel dem Sieger übergeben. Der Brautgürtel wurde der Ehefrau am Hochzeitstag von ihrem Gatten abgenommen, der seine Frau durch diesen Akt völlig in seinen Besitz nahm. Eine Witwe konnte sich der Schulden ihres verstorbenen Mannes entledigen, indem sie ihren Gürtel oder ihren Mantel auf die Bahre oder das Grab des Ehemannes legte.
Kinder wurden als kleine Erwachsene angesehen und trugen gleiche Frisuren und gleiche Kleidung wie diese.
Das Haar hatte im Mittelalter Symbolkraft. So verstärkten friesische Männer ihre Schwüre, indem sie die linke Hand auf ihr Haar legten.
Das Abschneiden und die Übergabe von Haar wurden als Zeichen der Unterwerfung betrachtet. Gefangenen Feinden schor man deshalb das Haupthaar. – Die Tonsur der Mönche symbolisiert ihre Unterwerfung unter die Regeln des Ordens.
Die verheiratete Frau musste auf Anordnung der Kirche in der Öffentlichkeit ihre Haare unter einem Schleier verbergen. Im karolingischen (8. – 10. Jh.) und ottonischen Zeitalter (10. – 11. Jh.) trugen die Ehefrauen lange, faltenreiche Schleier aus durchsichtigen Stoffen, so dass das Haar darunter immerhin noch zu erkennen war.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts änderte sich die Mode der Erwachsenen erneut. Die Männer zeigten Interesse an den Rundungen des weiblichen Geschlechtes. Dadurch wurden nun die breiten Hüften der Frauen betont und durch breite Wülste unterstrichen. Bauschärmel, breite Mäntel und hohe, mit künstlichen seidenen Haaren durchsetzte Frisuren gehörten zur reifen, Frau. Zusätzlich trennte man das Frauenkleid zum ersten Mal in Leibchen und Rock.
Die Schuhe verloren außerdem die übertrieben ausladenden Spitzen und passten sich dem Fuß an. Jedoch das non plus ultra für jede Dame und für jeden Herrn wurden die Handschuhe aus Seide, die mit Gold und Perlen bestickt und stets reichlich parfümiert waren. Zugleich mit dem Dekolleté der Damen betonten die Herren mit der sog. Schamkapsel ihr Geschlecht.
Als Trachtenbeispiel hier noch einmal eine Seite aus dem Hausbuch des Unico Manninga. Es wird der überreiche Goldschmuck einer Häuptlingsfrau gezeigt. Unico Manninga (*1529 +28. April 1588) war ein Häuptling.
Rechts und links Edelstein geschmückte Strümpfe. Der Pael ümfaßte den Kopf der Frau wie eine Haube. Das muss alles sehr unbequem für die Frau gewesen sein. Sie konnte sich kaum niedersetzen, weil die um den Rock herumgeführten Scherssonstreifen so drückten und zwickten.
Lesetipp: Praktische Kostümkunde in 600 Bildern und Schnitten, nach Carl Köhler, bearbeitet von Emma Sichart. 1. Halbband: Vom Altertum bis zur Mitte des 16. Jh. München 1926
Folgendes Buch enthält Schnittmuster: Margot Hamilton Hill and Peter A. Bucknell: The Evolution of Fashion: Pattern and Cut from 1066 to 1930. London 1968 (in der Fernleihe)
Gunda v. Dehn in Zusammenarbeit mit Thomas und Annette v. Dehn
Hinweis: Roman „Chroniken der tom Brook“
Band I-IV „Chroniken der tom Brook“ als Download bei versch. Anbietern:
Band II „Chroniken der tom Brook“:
http://store.kobobooks.com/de-DE/ebook/chroniken-der-tom-brook-1
Letzte Änderung 05.10.2023